Ende 2024 als „Familienunternehmer des Jahres“ ausgezeichnet, spricht Geschäftsführender Gesellschafter JAN-HENDRIK GOLDBECK über die erfolgreiche Weiterentwicklung von GOLDBECK in zweiter Generation. Im Interview mit Jens Lütjen erklärt er, wie Tradition und Innovation miteinander vereint werden, warum systematisierte und serielle Bauweisen die Zukunft sind und welche politischen und gesellschaftlichen Impulse für echten Fortschritt nötig sind. Ein Gespräch über Verantwortung, Wachstum und die Chancen für die Baubranche im Wandel.
Herr Goldbeck, Sie waren kürzlich auf der MIPIM in Cannes. Mit welchen Erwartungen sind Sie auf die Messe gegangen? Welche Themen standen im Fokus, und wie schätzen Sie den Markt aktuell ein?
Grundsätzlich gehe ich auf eine Messe immer mit Neugier auf verschiedene Meinungen und Einschätzungen. So entwickle ich ein Gespür dafür, was im Markt passiert. Aktuell herrscht eine gewisse Ambivalenz: Manche sagen, wir haben die Talsohle erreicht und es geht bald wieder aufwärts, aber wann genau, bleibt offen. Ich würde mich auch dort verorten. Doch wir sind noch nicht da, wo viele uns prognostiziert haben. „Survive until 25“ haben wir geschafft, aber der Aufschwung ist noch nicht da. Wir werden weitere Insolvenzen im Developer-Bereich sehen. Als Bauunternehmen sind wir Spätzykliker – das bedeutet, dass 2025, 2026 und vielleicht auch 2027 noch schwierige Jahre werden. Selbst wenn Optimismus in diesem Jahr zurückkehrt, dauert es bis zur Umsetzung in Bauleistung. Mit den deutschen Genehmigungsverfahren sprechen wir hier von 2026 oder 2027.
Haben Sie den Eindruck, Deutschland bewegt sich ein bisschen? bleiben wir mal bei Roman Herzog: kriegen wir den Ruck? Sehen Sie eventuell Unterschiede zwischen den Bundesländern? Also sehen Sie Fortschritte in der Regulierung oder stecken wir noch im Sumpf?
Wir stecken im Sumpf. Punkt. Es gibt viel guten Willen, auch seitens der Politik. Ich möchte die aktuelle Situation nicht am Bauministerium festmachen. Auf die letzten Jahre geschaut: Klara Geywitz war sehr pragmatisch und sinnvoll verortet. Aber oft endete es mit einem Schulterzucken: „Das ist Ländersache oder eine kommunale Angelegenheit.“ In den letzten 70 bis 80 Jahren haben wir schrittweise immer neue Regelungen hinzugefügt. Jede für sich macht vielleicht Sinn, doch zusammengenommen entsteht ein undurchdringlicher Dschungel. Jeder Beamte betrachtet seine Aufgabe isoliert, möchte sich absichern und arbeitet strikt nach Vorschrift. So dauert jeder Prozess Jahre – sei es wegen Artenschutz, Denkmalschutz oder Vorgartensatzungen. Man kann dem einzelnen Beamten kaum Vorwürfe machen, aber das große Ganze geht dabei verloren.
Ihr Unternehmen ist ja in Teilen auch antizyklisch unterwegs, etwa beim Bau kommunal genutzter Gebäude. Gerade Kommunen sind ein großer Nachfrager auf der Mieterseite. Gleichermaßen gelingt Ihnen eine besondere Balance aus Tradition und Innovation. Wie verknüpfen Sie das und welche Entwicklungen sind aktuell Treiber für GOLDBECK?
Jedes Unternehmen ab einer gewissen Größe braucht irgendwann die schöpferische Zerstörung von tradierten Weisheiten, muss sich also von alten Denkmustern befreien. Das basiert auf der Idee der S-Kurvenentwicklung einer Produktinnovation oder eines unternehmerischen Geschäftsmodells: So müssen wir uns stetig hinterfragen und weiterentwickeln. Deshalb sind wir vor mehr als 25 Jahren in den Betrieb von Gebäuden eingestiegen, haben den Schulbau vorangetrieben, uns für ÖPP-Projekte geöffnet und zuletzt auch das Thema Wohnen aufgegleist. Besonders Schulen sind eine spannende Assetklasse. Einige Regionen sind hier bereits Vorreiter und machen das Thema investierbar. Es gibt ein enormes Potenzial – sowohl für Investoren als auch für das Bildungswesen. Wenn mehr Kommunen sich an Best-Practice-Beispielen orientieren würden, könnte das den Schulbau in Deutschland erheblich voranbringen. Im Bereich Infrastruktur sind wir nicht direkt vertreten – aber mittelbar, auch wenn es offiziell nicht so bekannt ist: Denn mit unserer Tochter HWP Handwerkspartner haben wir vor zwei Jahren einen Bautenschutzbereich aufgebaut, der stark wächst.
Sie haben ÖPP-Projekte bereits angesprochen und erwähnt, dass einige Bundesländer und Kommunen dieses in Teilen erfolgreich umsetzen. Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund den Einfluss von kommunaler Eigenständigkeit und föderalen Unterschieden auf Skalierbarkeit und Effizienz?
Viele Ämter arbeiten immer noch nach klassischen Projektvorbereitungsmodellen. Nehmen wir zum Beispiel städtebauliche Wettbewerbe – gerade erst wieder erlebt in einer Ruhrgebietsstadt. Da wurde nach einem anonymisierten Wettbewerb ein französischer Generalplaner ausgewählt, der keine Ahnung von den lokalen Gegebenheiten hat. Das Projekt läuft komplett aus dem Ruder. Es fehlt oft an gesundem Realismus und Orientierung an erprobten Blaupausen oder Benchmarks. In anderen Assetklassen wie Logistikhallen oder Bürogebäuden ist das selbstverständlich – da weiß man, was ein Base Building kosten darf. Bei Schulen jedoch verlässt man sich vielerorts auf frühere Erfahrungen, ohne moderne Standards einzubeziehen. Wenn es eine bundesweit empfohlene Herangehensweise mit klaren Parametern und KPIs – auch zu Kosten und Funktionalität – gäbe, könnten wir deutlich schneller und wirtschaftlicher bauen. Doch aktuell ist alles Sache der Länder und Kommunen. Und so entstehen durch individuellen Aktionismus Konzepte, die nicht funktionieren und am Ende nur teuer für die öffentliche Hand und den Steuerzahler sind.
Lieber Herr Goldbeck, im Dezember 2024 wurden Sie und ihr Bruder Jörg-Uwe Goldbeck vom Handelsblatt als Familienunternehmer des Jahres ausgezeichnet. Wie gelingt es Ihnen, ein Unternehmen in der zweiten Generation erfolgreich weiterzuentwickeln – mit traditionellen Werten und zugleich einem offenen Blick für den Wandel der Zeit? Was zeichnet GOLDBECK besonders aus? Und welche Impulse für die Zukunft nehmen Sie daraus mit?
Der wirtschaftliche Erfolg ist immer die Basis – ohne ihn wird das Unternehmen nicht gesehen. Darüber hinaus ist es wichtig, sich als Familienunternehmer auch gesellschaftlich einzubringen. Wir leben von, durch und mit der Gesellschaft. Wenn wir nicht wollen, dass andere ein verzerrtes Bild von uns zeichnen – was in Deutschland schnell passiert, wenn man erfolgreich ist –, dann müssen wir sichtbar sein, mit klaren, positiven Werten. Diese Kombination aus wirtschaftlicher Stärke, Sichtbarkeit und Verantwortung prägt unser Unternehmen und macht uns aus.
Kommen wir zum Zukunftsthema Bauen in systematisierter und serieller Bauweise. Sie haben sich mit GOLDBECK darauf spezialisiert und bereits Leuchtturmprojekte umgesetzt, vor allem im Bereich Logistikimmobilien. Serielles Wohnen – ist das ein Ansatz, der sich noch weiterentwickeln muss und wird? Und wie passt er in die aktuelle Diskussion um graue Energie, CO₂ und Bauen im Bestand?
Für uns gibt es keinen Widerspruch zwischen dem, was wir liefern, und dem, was gebraucht wird. Viele andere Branchen nutzen seit Jahrzehnten die Effizienzsteigerungen industrieller Prozesse – im Bauwesen fehlt das oft noch. Stattdessen hängen viele Akteure an überholten Planungs-, Beratungs- und Vergabemodellen, die nun durch digitale, automatisierbare und ganzheitliche Ansätze mit hoher Vorfertigung herausgefordert werden. Das führt zu Abwehrreflexen, oft moralisch aufgeladen. Doch letztlich ist es ein Verteilungskampf zwischen zwei Herangehensweisen.
Wie viel Standardisierung ist möglich – und nötig?
Wenn Sie Bilder von Wohngebäuden sehen, könnten Sie oft nicht sagen, ob sie seriell oder konventionell gebaut wurden. Seriell ist ohnehin der falsche Begriff – wir sprechen von industriell. Vorfertigung ist der Schlüssel, mit Gebäuden als Produkt. Und das schließt Gestaltung nicht aus: Wir arbeiten hervorragend zusammen mit Architekten wie HWKN ARCHITECTURE, Gerber Architekten, SOP, HPP Architekten, RKW Architektur + – alle bringen ihre Entwurfsstärke in unsere Bausysteme ein. Der vermeintliche Gegensatz existiert nicht, er wird von Interessenvertretern konstruiert. Wir liefern funktionale, ästhetische und effiziente Lösungen – das ist moderne Baukultur.
Vor rund drei Jahren haben Sie ein dänisches Unternehmen übernommen. Skandinavien gilt als besonders fortschrittlich, gerade bei Digitalisierung, Architektur und Innovationskultur. Welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht? Gibt es länderspezifische oder geopolitische Entwicklungen, die Ihre Strategie beeinflussen?
Wir sind aktuell in 20 Ländern aktiv, lernen überall von regionalen Besonderheiten und leihen uns entsprechendes Know-how. Skandinavien passt kulturell sehr gut zu uns – die Vertrauenskultur und Verbindlichkeit. Die Zusammenarbeit läuft hervorragend. Auch Holland ist architektonisch spannend, vor allem ist Holland in der Industriearchitektur sehr progressiv, hat aber auch mit regulatorischen Problemen zu kämpfen. Ein Beispiel: In den Niederlanden dürfen nur noch elektrisch betriebene Baumaschinen eingesetzt werden. Gleichzeitig fehlt es am Stromnetz. Also mussten wir auf einer Baustelle mit Dieselaggregaten Strom erzeugen – ein ökologisches Paradox. So hat jedes Land seine Hürden. Und oft hören wir: „Das funktioniert bei uns nicht.“ Das haben wir in jeder neuen Region gehört – in Regionen in Deutschland, in anderen Ländern und auch in den USA. Doch wenn man Mehrwert schafft, Qualität liefert und Zeit sowie Kosten im Griff hat, überzeugt man. Mein Vater hat damals gegen diese Zweifel angekämpft – mit ostwestfälischer Sturheit. Und genau das hilft uns heute, weiter mutig zu wachsen.
Meine letzte Frage an Sie – wir haben eine neue Regierung. Haben Sie einen Impuls, Wunsch oder auch eine Erwartungshaltung, was die neue Regierung betrifft – auch im Hinblick auf Ihr Unternehmen?
Wir brauchen wieder wirtschaftliche Impulse – vor allem durch einen verlässlichen Rahmen für unternehmerisches Handeln. Es fehlt oft an pragmatischem Dialog mit denen, die wirklich umsetzen. Entscheidungen dauern zu lange. Kommunen brauchen mehr Entscheidungsfreiheit, um klare Prioritäten zu setzen und zügig zu handeln. Mehr Mut, mehr Geschwindigkeit – das ist es, was wir jetzt in Deutschland brauchen.
Danke für den offenen Austausch, lieber Herr Goldbeck – und für Ihre Energie, die Sie immer wieder mitbringen.
Foto: GOLDBECK GmbH