Steigende Baukosten, Hürden bei Revitalisierung – die Sicht eines Experten. // Foto: pexels.com
Jörg Wenzel versteht sein Handwerk, kennt den Markt: Seit über 30 Jahren ist er im Baugewerbe
tätig, knapp sechs davon bei GOLDBECK als Niederlassungsleiter in Bremen. Robert C. Spies Industrial Real Estate traf ihn zum Interview, in dem es um Preis- und Marktentwicklungen sowie Bauen im Bestand im Kontext der Nachhaltigkeit ging.
Herr Wenzel, wie nehmen Sie aktuell die Thematik rund um die steigenden Baukosten wahr? Als Generalübernehmer werden Sie sicherlich die Entwicklungen der letzten Monate aufmerksam beobachtet haben.
J. Wenzel: Die steigenden Baukosten und der Baukostenindex sind in aller Munde. Wir verfolgen
selbstverständlich sehr genau, was am Markt passiert. Wir konnten durch den Ausbruch des Ukrainekriegs und den daraus resultierenden steigenden Energie- und Rohstoffpreisen eine Verteuerung innerhalb weniger Tage von mehr als zehn Prozent feststellen. Das sind Preisentwicklungen, die für die gesamte Branche nicht zu antizipieren sind.
Wie hat sich die Nachfrage seitens der Projektentwickler und Investoren entwickelt? Spüren Sie eine rückläufige Nachfrage oder ein zögerliches Verhalten?
J. Wenzel: Wir verzeichnen weiterhin eine sehr gute Nachfrage, jedoch werden von Investoren und Entwicklern teilweise zögerlichere Entscheidungen getroffen. Die aktuelle Situation, die Materialverfügbarkeit, die Preise und der Krieg in der Ukraine verunsichern natürlich. Auch die Entwicklung der Bauzinsen hat Einfluss auf die Marktlage. Nachdem die BEG-Förderungen im Neubaubereich weggebrochen sind, verlegen Kunden den Fokus auf weiterhin förderfähige Sanierungen. Das Thema Flächenknappheit beschäftigt die Branche und so werden Sanierungen und Brownfield-Entwicklungen für Kunden immer attraktiver.
Haben sich die Projekte in ihrer Art verändert?
J. Wenzel: Auch die Pandemie hat die Bedarfe der Kunden beeinflusst. Durch die vermehrte Nutzung des mobilen Arbeitens haben sich Strukturen und Denkweisen in der Arbeitsweltgestaltung verändert. Insbesondere das Konzept „Flexible Desking“ gewinnt dadurch weiter an Bedeutung. Die Idee dahinter: Fest zugewiesene Arbeitsplätze werden aufgelöst und durch multifunktionale Arbeitsumgebungen ersetzt. Dabei kommen neben flexiblen Raummodulen technische Komponenten zur Erfassung und Buchung freier Arbeitsplätze zum Einsatz. Die Projekte werden dadurch nicht weniger, sie werden aber in jedem Fall anders.
Sie haben bereits die Flächenknappheit angesprochen. Wie ist bei Ihnen die Nachfrage nach Bauen im Bestand, Revitalisierung und Refurbishment?
J. Wenzel: Wir verzeichnen eine kontinuierliche Nachfrage sowohl nach Sanierungen, Nutzungsänderungen, Aufstockungen und Erweiterungen als auch nach Mieterausbau. Natürlich muss man im Einzelfall prüfen, ob eine Revitalisierung eines Bestandsgebäudes immer zielführend ist. Grundsätzlich benötigt man ein Bestandsgebäude mit einer guten Bausubstanz – das ist bei vielen Gebäuden der Fall. Sie verfügen über eine gute Struktur, sodass GOLDBECK mit bestehenden Raumhöhen, der vorhandenen Flächenaufteilung und dem Tragwerk die neue oder bestehende Nutzung des Kunden gut umsetzen kann.
Sagen wir, es ist möglich: Wie wirken sich die gestiegenen Baukosten auf die Revitalisierung von Bestandsobjekten aus? Sind sie in diesem Bereich im gleichen Maße gestiegen?
J. Wenzel: Alle Bauteile des Bestandsgebäudes, die erhalten bleiben und weiterverwendet werden, sind selbstverständlich nicht von gestiegenen Baukosten betroffen. Dies betrifft in der Regel den gesamten Rohbau mit Ausnahme von Instandsetzungs- oder Ertüchtigungsarbeiten. Im Bereich der Fassaden-, Innenausbau- oder Gebäudetechnikarbeiten unterliegen auch Revitalisierungen den aktuellen Entwicklungen.
Wie sieht diesbezüglich Ihre Prognose für die Zukunft aus? Glauben Sie an eine weiter steigende Nachfrage seitens der Kunden nach einer Revitalisierung?
J. Wenzel: Viele Faktoren können eine steigende Nachfrage hervorrufen: geringe Verfügbarkeit von Flächen, steigende Energiekosten, Fördermittel für Sanierungen, neue Entwicklungen der Gesetzgebung. Grundlage von Entscheidungen sind häufig gesellschaftliche und politische Veränderungen, die schwer vorhersehbar sind. Was jedoch vor dem Hintergrund des Klimawandels eindeutig ist: In Deutschland sind ca. 67 Prozent der Gebäude vor 1978 errichtet worden, also vor der ersten Energieeinsparverordnung. Die Bundesregierung strebt eine Klimaneutralität des Gebäudebestands bis 2050 an. Sowohl Wohngebäude als auch Verwaltungsgebäude und Hallen aus dieser Zeit können durch Dämmung der Gebäudehülle und erneuerbare Energien einen wesentlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten. Darüber hinaus sind Revitalisierungen an sich nachhaltig: Wird der Rohbau weiterverwendet, können bis zu 50 Prozent der CO2-Emmissioen, die bei einem konventionellen Neubau entstehen, eingespart werden. Das ist zudem sehr wirtschaftlich.
Herr Wenzel, wir danken Ihnen recht herzlich für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.