Der Trend zur multilokalen, digitalen Arbeitskultur wird durch die Corona-Krise deutlich beschleunigt – abgezeichnet hat sich dieser jedoch auch vorher schon. Viele Unternehmen setzen sich krisenbedingt stärker mit der Digitalisierung ihrer Organisationsstrukturen auseinander, sodass sich zukünftig nicht nur Büroflächenanforderungen verändern, sondern sich sogar das gesamte Verhältnis zwischen Mensch und Büroimmobilie wandelt.
Kurzfristig: Mietverträge aus der Pipeline werden zumeist geschlossen
„Unternehmen, die sich bereits seit einigen Monaten mit neuen Standorten oder Flächenveränderungen auseinandergesetzt haben, halten überwiegend auch an ihren Anmietungsplänen fest“, beobachtet Siljan Tietjen, Immobilienberater für Büroflächen bei Robert C. Spies. „Vertragsverhandlungen aus der Pipeline gingen folglich auch in den letzten Wochen weitestgehend unverändert weiter. Die Marktdynamik zeigt sich jedoch etwas verlangsamt, da Neuanmietungen durch den Lock-Down in Teilen in den Herbst verschoben wurden.“ Unternehmen mit zeitnah auslaufenden Mietverträgen müssen nach wie vor Neuanmietungen und Umzüge planen – stark konjunkturanfällige Branchen zeigen sich dabei tendenziell abwartend.
Trend zu höheren Spitzenmieten verzögert sich
Selektiv zeigen sich Vermieter kurzfristig durchaus flexibel, indem sie exemplarisch bereit sind, die Miete temporär als Krisenunterstützungshilfe zu reduzieren. Sie kompensieren diese zeitlich begrenzte Reduktion in Form von neuen vertraglichen Regelungen, z. B. längeren Laufzeiten. „Dieser Umstand sowie das defensivere Verhalten im Kontext von Neuanmietungen dürften gegenwärtig den Trend zu höheren Spitzenmieten verzögern“, glaubt der Immobilienexperte.
Mittelfristig: Veränderungen, aber keine Revolution
Flächenanpassungen prägen fortlaufend das Büromarktgeschehen. Aufgrund der ohnehin niedrigen Leerstände in vielen deutschen Metropolen, wird es mittelfristig vermutlich zu keinem Flächenüberangebot kommen. Ferner werden etwaige rückläufige Personalentwicklungen in konjunkturanfälligeren Branchen erst zeitverzögert auf dem Büroflächenmarkt spürbar und durch den bisherigen Nachfrageüberhang zunächst kompensiert. „Der Fachkräftemangel steht bei vielen Unternehmen im Fokus, sodass sich ein möglicher Personalabbau vorerst weniger auf den Markt auswirken dürfte,“ prognostiziert Tietjen. Diese Krise ist einmalig, wird mittel- und langfristig definitiv zu Veränderungen führen, stellt aber keine Revolution dar.
Büro als Ort für qualitatives Zusammenkommen
Die Menschen erleben derzeit alternativlos eine Unabhängigkeit von ihren Büroarbeitsplätzen wie wahrscheinlich noch nie zuvor – die Digitalisierung und das Home-Office bewirken einen strukturellen Wandel. Unternehmen wurden in Teilen innerhalb kürzester Zeit gezwungen, sich intensiv mit neuen Arbeitsformen auseinanderzusetzen. „Die Akzeptanz von Heimarbeit ist u. a. signifikant gestiegen, viele Unternehmen mussten in diesem Zusammenhang ins kalte Wasser springen. Büroflächen benötigen in der heutigen Zeit ganz klar sehr flexible Rahmenbedingungen, um auf die gewandelten Ansprüche an das Arbeiten reagieren zu können“, beobachtet Siljan Tietjen. Bisherige Flächenschlüssel werden vermehrt hinterfragt. Desk-Sharing, Rückzugsorte und Ausgleichsflächen stellen zukünftig entscheidende Einflussfaktoren dar und werden zunehmen. Gleichermaßen werden die klassischen Einzel- und Großraumbüros selektiver in den hiesigen Bürolandschaften zu finden sein.
Flexibles Kommen und Gehen erfordern neue Strukturen
Keine Frage: Büros werden weiterhin einen außerordentlich hohen Stellenwert am Markt haben. „Das Büro schafft Identifikation und fördert die informelle Kommunikation. Der direkte Austausch von Angesicht zu Angesicht bleibt auf Dauer unersetzlich, nicht zuletzt für den Austausch von Wissen“, ist sich Tietjen sicher. Auch nach Corona werden Büros Plattformen für das qualitative Zusammenkommen bleiben, für das die persönliche Präsenz erforderlich ist. „Ein kommunikationsförderndes Umfeld bieten sowie die flexible Kollaboration in wechselnden Teams stützen, das ist die Planungsaufgabe für das Büro von morgen“, resümiert Tietjen. Die Menschen werden bewusster ins Büro kommen und der typische Arbeitsplatz – Tisch, Drehstuhl und Sideboard – wird weniger gefragt und vermehrt in den Hintergrund rücken.
Neues Flächenbewusstsein als Chance
Die Aussichten für einen modernen und lebendigen Büromarkt in der Zeit nach der Corona-Krise sind positiv: „Eine Chance, um den Wandel der Büro- und Arbeitswelten aktiv mit voranzutreiben“, beschreibt Siljan Tietjen die derzeitige Marktentwicklung. Dabei rücken Themen wie Corporate Identity, aktivitätsbasierte Flächenkonzepte und Quartiersaspekte deutlich stärker in den Fokus.