Holz – beliebtes Material für Möbel und Spielwaren, stilvolles Element im Bereich des Interior Designs und neben Naturstein eine der ursprünglichsten Ressourcen im Baugewerbe. Doch genau hier dominieren weiterhin Stahl und Beton, deren ökologischer Fingerabdruck längst kein Geheimnis mehr ist. Verstärkt findet daher ein Umdenken in der Branche statt in Form einer aufkeimenden Renaissance des Baustoffes Holz. Zwei Beispiele zeigen, dass dies sowohl auf dem Boden der Tatsachen als auch in luftigen Höhen geschieht.
Noch wächst der Turm von Tag zu Tag weiter in die Höhe, doch bereits im ersten Quartal 2024 soll es dann vollendet stehen, das ROOTS in der Hamburger HafenCity – mit seinen geplant gut 65 Metern Höhe Deutschlands höchstes Holzgebäude. Denn beim vielbeachteten Neubauprojekt der Garbe Immobilien-Projekte, das konkret aus 19 Geschossen und einem Staffelgeschoss im Turm sowie sieben Geschossen im Riegel besteht, werden ca. 5.500 Kubikmeter Konstruktionsholz verbaut. „Zurück zu den Wurzeln – Naturverbundenheit wirklich (er)leben“ ist bei den 181 entstehenden Wohneinheiten – davon 128 Eigentums- und 53 öffentlich geförderte Wohnungen – das Leitmotiv, deren umlaufende Loggien mit verschiebbaren Glaselementen die Symbiose zwischen Urbanität und Umwelt unterstreichen sollen.
Die tragenden Wände werden beim ROOTS als aufgelöste Holzrahmenbaukonstruktion primär aus Fichte mit geringen Anteilen von Kiefer, Tanne und Buche gefertigt; das Holz ist FSC/PFSC zertifiziert. Schlussendlich wird der Turm des Roots aus rund 1.200 Holzbauelementen bestehen, der Riegel aus insgesamt ca. 400. „Im Gegensatz zur klassischen Bauweise ermöglicht uns der Einsatz von modularen Elementen mit einem hohen Vorfertigungsgrad mehr Präzision, Schnelligkeit und eine ruhigere Baustelle. Mit unserer Entscheidung, vermehrt Holz als Baustoff einzusetzen, gehen wir einen unkonventionellen Weg, der jedoch Klima und Ressourcen schont sowie eine lange Lebensdauer verspricht“, erklärt Benedict Pielmeier, Projektleiter Garbe Immobilien-Projekte GmbH.
Es drängt sich die Frage auf, wann das Mitdenken von ökologischen Aspekten vom beschriebenen „unkonventionellen Weg“ endgültig zum Regelfall wird. Für Holger Sasse, Geschäftsführer und Gründer der NOVO-TECH GmbH, stellt sich diese Frage im gut 300 Kilometer entfernten Aschersleben indes nicht. Seit 2007 fertigt Europas größter Hersteller von polymergebundenen Holzwerkstoffen für den Außenbereich aus innovativen Ideen modernste Produkte auf Basis des Holzwerkstoffs GCC (German Compact Composite). Dieser enthält mit bis zu 75 Prozent (atro) einen weltweit einzigartig hohen Anteil an Naturfasern und kommt aus nachwachsenden Rohstoffen aus PEFC-zertifiziertem Anbau. Dabei wird kein Baum gefällt, sondern anfallende Späne aus regionaler Hobel- und Sägeindustrie genutzt.
Allerdings genüge es nicht mehr, Materialien nur recyclebar zu gestalten, so Sasse, das wäre nur der erste Schritt in die Kreislauffähigkeit. Jeder Hersteller, ggf. auch Inverkehrbringer, müsse Konzepte dafür entwickeln, seine Produkte in geschlossenen Kreisläufen zirkulieren zu lassen. „Rohstoffe werden immer knapper. Wer heute keine Konzepte für die Rückführung seiner Produkte entwickelt und umsetzt, kann die Verfügbarkeit seiner Rohstoffe für die Produkte von morgen nicht sicherstellen. Ausgediente Terrassendielen, die über die Rücknahmehändler an uns zurückgegeben werden, schreddern wir – sortenrein getrennt – zu feinem Granulat. Dieses wird in den Produktionskreislauf zurückgeführt und für die Herstellung neuer Dielen verwendet, wodurch wertvolle Ressourcen eingespart werden.“
Von der Gartenterrasse über Bänke und Zäune bis hin zu ganzen Fassadenverkleidungen – Bauprodukte aus GCC ließen sich für unzählige langlebige Außenanwendungen einsetzen und in einem technischen Stoffkreislauf „von der Wiege zur Wiege“ zirkulieren. Stichwort „Cradle-to-Cradle-Prinzip“.
bedeutet übersetzt „Von der Wiege zur Wiege“. Es handelt sich dabei um ein Konzept, das die konsequente geschlossene Kreislaufwirtschaft zum Ziel hat und Klima- sowie Ressourcenprobleme ganzheitlich und langfristig löst. Eingesetzt werden kreislauffähige Materialien, die komplett biologisch abbaubar sind oder durch ihre sortenreine Trennbarkeit endlos in technischen Kreisläufen zirkulieren. Letzteres sorgt dafür, dass die Bestandteile bei mindestens gleichbleibender Qualität recycelt und zum Nährboden für Neues werden können – und eben nicht als Abfall enden.
Dass auch externe Ressourcen in den Wiederverwertungskreislauf einfließen können, ist ebenfalls in Aschersleben zu beobachten. Sasse weiter: „Eine zusätzliche Rohstoffquelle für einen Teil unserer Produkte bildet recyceltes Kunstharz, das unter anderem aus ausgemusterten Windkraft-Rotorblättern stammt. Hier sind wir Vorreiter und bisher das einzige Unternehmen, das der Wind- und Energiebranche eine Möglichkeit zur stofflichen Wiederverwertung alter Rotorblätter bietet.“
Am Ende offenbart der Blick ins Unkonventionelle wahre Pionierarbeit im Kontext nachhaltiger Bau- sowie Produktionsprozesse. Und spannende Schnittmengen, die im ersten Moment undenkbar scheinen: Während Rotorblätter aus der Höhe kommend ein neues Leben am Boden finden, erklimmt der aus der Erde wachsende Rohstoff Holz im Zuge neugedachter Gebäudelösungen inzwischen ungeahnte Höhen und setzt neue Maßstäbe bei der Gestaltung unseres Lebensraums. Beim ROOTS entschied sich die Garbe Immobilien-Projekte GmbH daher auch zur Integration einer interaktiven Ausstellung der Deutschen Wildtierstiftung, die einen tieferen Einblick in die Themenfelder Natur und Artenschutz auch innerhalb des privaten Habitats gewähren soll.
Für Fabian von Köppen, Geschäftsführer der Garbe Immobilien-Projekte GmbH, ist das Projekt ein Referenzobjekt: „Roots steht für unsere Vision, Städte durch den Baustoff Holz klimaneutral nachzuverdichten. Wir wachsen zusammen mit allen Beteiligten an diesem Projekt. Unser gemeinsames Ziel ist es, einen Best Case zu schaffen, der buchstäblich Wurzeln schlägt.“
Bei all den Veränderungen, die der Baubranche hin zu absoluter Klimaneutralität noch bevorstehen, wirkt dieses Ziel keinesfalls überambitioniert. Denn wenn andernorts bereits in sich geschlossene Ressourcenkreisläufe etabliert und genutzt werden, scheint der Weg bereitet für Innovationen, die schon bald zum Standard werden. Bauen mit Holz – so kann es weitergehen.